Das Graskissenbuch

山路を登りながら、こう考えた。智に働けば角が立つ。情に模させば流される。意地を通せば窮屈だ。とかくに人の世は住みにくい。

Einen schmalen Bergpfad erklimmend überlegte ich: Wer allein der Vernunft folgt, wird hartherzig. Wer sich von Gefühlen leiten läßt, wird in ihrem Strom fortgerissen. Wer sich nicht anpassen will, dem wird es bald zu eng. Wie auch immer, es ist schwer unter Menschen zu leben.

In dem weithin bekannten Incipit klingt bereits an, was Kusamakura – erschienen 1906 – zu einem einflussreichen Werk der japanischen Literatur gemacht hat. Der Roman erzählt die Geschichte eines Künstlers, der sich in die Berge zurückzieht, um sich in der Natur, unbeeinflusst von er Hektik der Großstadt, der Malerei hinzugeben. Er quartiert sich als einziger Gast in ein Ryokan ein. Dort begegnet er der mysteriösen Onami, geschiedene Tochter des Gastwirts, die ihn an John Millais‘ Gemälde Ophelia erinnert. Er möchte sie malen, vermag es aber wegen ihrer Distanziertheit nicht. Es entspinnt sich eine Geschichte, die zwischen Begegnungen mit Onami, produktiven Versuchen Gedichte zu verfassen und Reflektion über die Kunst mäandriert. Erst als der Künstler eines Tages Mitgefühl in den Augen Onamis sieht, ist der Bann gebrochen, kann er sie malen.

Nichts weiter geschieht zwischen Onami und dem Künstler. Nichts weiter geschieht überhaupt. Aber das ist auch nicht, was den Autor interessiert. Das „Wie“ ist für ihn viel interessanter als das „Was“. Und da gibt es viel zu entdecken, beispielsweise den feinen ironischen Unterton, der sich durch das Werk zieht. So unterhalten sich die beiden Charaktere – im Roman! – darüber, ob es sich lohnt der Handlung eines Romas zu folgen. An anderer Stelle lässt Sōseki seinen Protagonisten sich über das Beschauen des Teegeschirrs – fester Bestandsteil der Teezeremonie – belustigen. Und Haikus sind für den Künstler die einfachste und handlichste Form der Poesie, da sie sich leicht auf der Toilette komponieren lassen.

Dennoch sollte man sich nicht von dem leichten Ton täuschen lassen: Natsume Sōseki (1867 – 1916), in die Meiji-Zeit hineingeboren, eine Zeit des Umbruchs, in der Japan mit rasantem Tempo den Anschluss an westliche Errungenschaften forciert, ist profunder Kenner der englischen und chinesischen Literatur. In Kusamakura stellt er in seinen Betrachtungen gerne die europäisch-westlichen den japanisch-chinesischen Denkansätzen in der Kunst gegenüber, wobei letztere ihm offensichtlich mehr liegen. Gleichwohl lassen sich aus den Betrachtungen in beide Richtungen tiefe Einsichten gewinnen. In den Gegenüberstellungen kann man sicher auch eine Art der Selbstbehauptung sehen, in einer Zeit des Wandels, die Japan in rasantem Tempo Neues bescherte und in der gleichzeitig viel Altes unwiderruflich im Verschwinden begriffen war. Nicht zuletzt ist es bestimmt mehr als eine Anekdote, dass Sōseki hier einen Roman vorlegt, eine westliche Literaturgattung, um ihn sogleich einem der tragenden Elemente, der Handlung zu entkleiden, wodurch so etwas wie ein Anti-Roman entsteht.

Das Graskissenbuch (im Original Kusamakura)
Natsume Sōseki
漱石 夏目「草枕」
Deutsche Ausgabe: Edition q im Quintessenz Verlag
Japanisches Original und Hörbuch: Erhältlich bei Google Play (u.a.)
Buchvorstellung für die Deutsch-Japanische-Gesellschaft Karlsruhe, 2012

Autor: Peter Bauer

Architekt und Organisationsentwickler. Ich schreibe über Themen, die mich beruflich oder privat interessieren. Beruflich geht es meistens um Agilität, Organisationsentwicklung oder Dokumentenmanagement. Private Artikel drehen sich um Literatur, Film, Architektur und Japan. Ich freue mich immer über konstruktives Feedback oder blickerweiternde Widerrede. わたしは建築家 と 組織の開発者です。 ブログの主題は、だたい敏捷性と組織開発、文学、映画、建築と日本についてです。 視野を広げる建設的なフィードバックいつでも喜んで受けています。

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