Schon seit Beginn der Coronakrise wird darüber spekuliert, wie wohl die Welt nach Corona aussehen wird. Analog zu 9/11 und dem Diktum von der Welt, die „danach nicht mehr so sein würde, wie vorher“ scheint auch die aktuelle Krise das Zeug zu einer Epochenwende zu haben.
In Bezug auf die deutschen Kommunalverwaltungen wird die Diskussion, welche Veränderungen die Coronakrise wohl mit sich bringen wird, in einem überwiegend optimistischen Ton geführt, wonach die Krise mit ihrem Bewältigungsprimat des Social Distancing dazu führt, dass die Digitalisierung der Verwaltungen einen großen Schub erfahren wird. Bisher eher zögerlich eingesetzte neue Arbeits- und Kommunikationsformen wie Videokonferenzen, Online-Coworking, Homeoffice – nebst den dafür notwendigen digitalen Werkzeugen – werden nunmehr massenhaft eingesetzt, um das Social Distancing umzusetzen. Viele im öffentlichen Dienst Beschäftigte machen dabei offenbar die Erfahrung, dass diese Arbeits- und Kommunikationsformen vielleicht noch der Einarbeitung und Übung bedürfen, grundsätzlich aber schon gut funktionieren, und dass ortsunabhängiges Arbeiten sich in vielen Bereichen nicht wesentlich von der Präsenzarbeit im Büro unterscheidet. Vermisst wird allenfalls der persönliche Kontakt, das zwanglose, zufällige Gespräch hier, das Gefühl der Präsenz und die spürbare Aufmerksamkeit des Gegenübers dort. Dinge also, die durch die räumliche Distanz und den Filter der technisch unterstützen Kommunikation nicht so leicht transportierbar sind.
Aus der aktuellen Ausnahmesituation erwächst also eine Hoffnung auf Veränderung. Und diese Veränderung soll nicht bei einer rascheren Digitalisierung halt machen. Auch nicht bei den neuen Arbeitsweisen und Kommunikationsformen, die sind schön, aber nicht genug. Vielmehr scheint die Krise auch die Debatte um neue Formen der Führung, flachere Hierarchien, mehr Beteiligung und Transparenz und schließlich mehr Mitbestimmung und Selbstbestimmung zu befeuern.
Weniger prominent diskutiert, jedoch möglichweise ebenso prägend, könnten ganz andere Erfahrungen sein. Während viele Beschäftigte ins Homeoffice umgezogen sind, haben deren Führungskräfte ein Problem: Wie funktioniert das Führen aus der Ferne? Dieses Problem lässt sich leider nicht so einfach technisch lösen. Plötzlich sind andere Handlungsweise und ein neues Mindset gefragt. Mit ein, zwei Tagen Schulung lassen sich lange eingeschliffene Gewohnheiten nicht ändern; vielmehr sind Geduld und langes Üben in Verbindung mit Fortbildung, Training oder Coaching gefragt. Wie immer bei Prozessen, die Verhaltensänderungen erfordern, werden sich Reaktionen von „Endlich! So wollte ich schon immer führen“ über „Anspruchsvoll, aber ich lasse mich darauf ein“ bis „Wir müssen baldmöglichst wieder in den Normalbetrieb – gemeint ist der Status quo ante – zurückkehren“ einstellen. Die Gruppe, die letzteres propagiert, dürfte erfahrungsgemäß nicht so klein sein, da eine breite Motivlage zugrunde liegt. Zu ihr gehören beispielsweise Menschen,
- die sich im öffentlichen Dienst behaglich eingerichtet haben, für die die Arbeit im Wesentlichen die Ressourcen für das „echte Leben“ – das Privatleben – bereitstellen soll (was im Übrigen eine völlig legitime Haltung ist, schließlich wirbt der öffentliche Dienst offensiv mit seiner Familienfreundlichkeit für sich),
- die überzeugt davon sind, dass Hierarchien und klar definierte Zuständigkeiten elementare und erfolgreiche Prinzipien der öffentlichen Verwaltung sind,
- bei denen Veränderungen verschiedenste Ängste auslösen.
Ein nicht geringer Teil der Mitarbeitenden, vornehmlich wohl Führungskräfte, ist zudem in Krisenstabsarbeit eingebunden und macht dabei die Erfahrung, dass unter dem Druck schnell reagieren zu müssen, Entscheidungen nicht breit ausdiskutiert, sondern in den Gremien einfach getroffen und bekannt gegeben werden. Es bedarf keiner ausschweifenden Phantasie sich vorzustellen, dass die eine oder der andere sich dabei sehr wohlfühlt – endlich einmal flott durchregieren, ohne die ewigen Diskussionen. Und weil dieses Prinzip so gut funktioniert, könnte im nächsten Schritt der Gedanke entstehen, dass sich notwendige Anpassungsprozesse wie die Digitalisierung der Verwaltungsarbeit Top-down, ohne zeitfressende Mitarbeiterbeteiligung, sehr viel schneller und effizienter durchführen lassen.
Wird nach Corona alles anders? In den Kommunalverwaltungen wird es sicher zu Veränderungen kommen und sie werden vermutlich schneller eintreten als ohne Corona. Die Krise wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die Hoffnung auf Veränderung. Vermutlich wird aber nicht alles so linear und selbstverständlich verlaufen, wie wir es zurzeit erwarten. Auch in der Soziologie gibt es das Prinzip von Druck und Gegendruck: Wenn Corona den Veränderungsdruck massiv erhöht, muss auf der anderen Seite mit einem ebenso starken Beharrungsdruck gerechnet werden. Es könnte sein, dass wir in den Verwaltungen auf einen hart umkämpften Clash of Cultures zusteuern.
Schöner Artikel Peter!
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Vielen Dank Lila! Du bist die Erste, die auf meiner WordPress-Seite einen Kommentar hinterlässt und bekommst – leider nur virtuell – fünf Sternchen 🙂 verliehen,
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