Jeder tut es hin und wieder: Statt Lesen oder Netflix gucken, einen Surfabend vor dem PC oder – seit es Smartphones gibt – gerne auch auf dem Sofa verbringen. Ich mache das auch. Und ja, obwohl das Internet voll mit interessanten Dokus, Vorträgen und Berichten ist, ertappe ich mich mitunter dabei, lange, viel zu lange, Lebensmüden zuzuschauen, die sich im Wingsuit einen Berg herunterstürzen oder mitzuverfolgen, wie Adrenalinjunkies halsbrecherische Abfahrten wagen und nur knapp der selbstausgelösten Lawine entgehen. Selbst Shopping-Hauls oder Clips, die offensichtlichst gefakte Streiche zeigen oder, noch dümmlicher, Leute, die freiwillig an der Bugs-Bunny-Challenge teilnehmen, sind mitunter nicht sicher vor mir.
Manchmal aber, geraten die kleinen Surfreisen zu Offenbarungen. So neulich, als ich eigentlich nur herausfinden wollte, vom wem die Musik aus der Peloton-Werbung stammt (ihr braucht nicht weitersuchen, es ist Celeste – Stop This Flame).
Anstatt hier zu stoppen, habe ich mich einmal mehr von der YouTube-Vorschlagsleiste verführen lassen weiterzuklicken und bin belohnt worden. Nach nur zwei eher nostalgischen Stationen – Wicked Games in der Version von London Grammar (schönes Cover von Chris Isaaks 1989er Stück) und danach Mazzy Star – Fade Into You (immer noch super, aber unfassbar, wie lange das schon her ist und was für eine andere Zeit das war) – gab es den ersten musikalischen Glücksmoment:
In der Vorschlagsleiste erschien Dave Brubeck – Golden Brown. Bislang kannte ich nur die Version von den Stranglers – damals eine längere Zeit mein Lieblingsstück. Take Five kenne ich natürlich, obwohl ich ein totaler Jazz-Ignorant bin. Aber Golden Brown, das war mir neu! Gut, wenn ich mich mit Jazz besser auskennen würde oder genauer hingeschaut hätte, wäre mir gleich aufgefallen, dass da etwas nicht stimmen kann. Es handelt sich um ein Fake! Aber ein so liebevoll gemachtes, dass es euch empfehlen kann!
Kein Fake dagegen – und für mich eine weitere tolle Entdeckung – ist Brubecks Koto-Song (aus dem Album „Jazz Impressions Of Japan‟), eine sehr gelungen Fusion japanischer und westlicher Stimmungen. Hört mal rein, lohnt sich!
Der nächste Sprung war ziemlich krass. Ich will gar nicht wissen, wie dieser Tipp in die YouTube-Vorschlagsleiste kam. Egal wie, eine Offenbarung! Hier erzählt eine Musik-Enthusiastin, Joana Mallwitz, Dirigentin und Pianistin, zurzeit Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg, was es mit dem „Betrunkenen Beethoven‟ (Videorundgang durch Beethovens Siebte Symphonie) und Beethovens „Pastorale“ (Videorundgang durch die 6. Symphonie von Beethoven) auf sich hat. Toll, wie Joana Mallwitz mit Leidenschaft, Witz und Fachkenntnis für klassische Musik begeistern kann.
Hier habe ich YouTube verlassen und statt dessen meinen Podcast-Player gestartet. Mir war – Stichwort Beethoven – nämlich eingefallen, dass ich erst ein paar Tage zuvor einen neuen Podcast (Igor Levit Klavierpodcast 32 x Beethoven) abonniert, aber noch nicht reingehört hatte. Eine gute Gelegenheit das nachzuholen. Ich bin bei der Folge über die Mondscheinsonate eingestiegen, die ich, als ich noch Klavier gespielt habe, so geliebt habe und deren dritter Satz mich gleichzeitig so zum Verzweifeln gebracht hat. Das ist alles vergessen, wenn im Podcast Igor Levit und sein Freund Anselm Cybinski erzählen, was man hört, wie es gemacht ist, wie es vom Publikum über die Epochen rezipiert wurden. Ein purer Glücksmoment!
Bevor ich schließe, hier noch zwei kleine Glücksmoment-Encores:
- Arcadi Volodos leicht jazzige Paraphrase über Mozarts Rondo alla turca (Türkischer Marsch) aus der Klaviersonate Nr. 11 A-Dur, KV 331. Hier von ihm selbst und hier von Yuja Wang gespielt.
- „Der Kontrabandiste‟ (spanisches Liederspiel op. 74 no.10) von Robert Schumann in eine Transkription von Carl Tausig. Auch hier zwei Versionen: Einmal gespielt von Sergei Rachmaninov und zum anderen wieder (Spielfreude und Leichtigkeit pur) Yuja Wang.